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Kritikerherzen und Kündigungsschreiben

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Gruß aus der Küche: Erdbeer-Gazpacho mit Chili und Schnittlauchblüte.

Gruß aus der Küche: Erdbeer-Gazpacho mit Chili und Schnittlauchblüte.

Während ich heute nebenan Rick’s Café Casablanca vorstelle, möchte ich hier ein wenig aus dem Kritiker-Nähkästchen plaudern und unter anderem erzählen, wie es dieses damals noch junge Lokal ins Augusto-Magazin schaffte.

Ursprünglich sollte ich ein kleines Café in der Umgebung Dresdens besuchen, das mir aufgrund seiner hübschen Lage, seiner selbst gebackenen Kuchen und seines Charmes empfohlen worden war. Da es ein paar Autominuten entfernt lag, versicherte ich mich vor der Abfahrt auf dessen Homepage noch einmal über die Öffnungszeiten. Als wir ankamen, goss es in Strömen. Notdürftig unter einen Schirm geduckt, rüttelten mein Begleiter und ich an der verschlossenen Eingangstür, an der gut sichtbar die Öffnungszeiten prangten. Keine Nachricht über einen etwaigen Notfall, der eine kurzfristige Schließung unabdingbar gemacht hätte. Doch es bestand im wahrsten Sinne des Wortes ein Hoffnungsschimmer: als wir unsere feuchten Nasen wie winselnde Hunde an eine Fensterscheibe des Cafés pressten, sahen wir im hinteren Teil des Ladens Licht. Klopfen half nicht, aber wir hatten ja Mobiltelefone dabei. Kurzerhand rief ich an.

– „Ja, guten Tag, wir stehen vor Ihrem Café und dachten, es müsste noch offen sein.“
– „Nää, heute war so wenig los, da hab’sch discht gemacht!“
– „Ich sehe, Sie haben ja noch ganz viele Torten in Ihrer Vitrine stehen – könnten wir uns vielleicht bei einer Tasse Kaffee aufwärmen, wo es doch so dolle regnet und Sie ja noch hier sind?“
– „Nää, jetzt hab’sch schon de Kaffeemaschine geputzt.“

Einen ganz kurzen Moment war ich versucht, den Grund meines Anliegens zu offenbaren, in etwa so: „Wissen Sie, ich würde Sie gerne im Augusto-Magazin vorstellen, das käme Ihnen doch auch zugute.“ Doch dann biss ich mir auf die Zunge: der Test hatte soeben stattgefunden, und während meine Frisur in der feuchten Luft aufweichte, hatte sich mein Urteil unversehens verfestigt.

Doch der Redaktionsschluss drängte. Wo auf die Schnelle eine Alternative auftun? Da fiel mir ein, dass es seit ein paar Tagen Gerüchte, nicht mehr, um eine Neueröffnung gab. Es blieb mir nichts übrig, als alles auf eine Karte zu setzen.

Als wir dort ankamen, hatte Rick’s Café Casablanca am Vortag Eröffnung gefeiert! Doch nichts deutete darauf hin: alles wirkte sauber und aufgeräumt, der Service war liebenswürdig statt verkatert, die Abläufe wirkten routiniert und das Team aufeinander eingespielt. Während unsere Klamotten langsam am Leib trockneten, zog auch wieder etwas Wärme in mein steinernes Kritikerherz.

Zu den Tadeln, die man meiner Zunft macht, gehört mangelnde Herzensbildung – z. B., wenn wir anzudeuten wagen, dass Menschen, die im vorletzten Jahrhundert mal jung waren, mit einer Restaurantführung überfordert sein könnten, obwohl der „Service“ vor allem aus Schwänken über schlecht verheilte Knochenbrüche und kürzlich gelegte Katheter bestanden hatte.

Oder dass wir nun mal diese Familientradition verstehen müssten, wonach die Nonna im Mezzogiorno das vererbte Familienrezept schon immer mit Mayo statt mit Besciamella zubereitet hat.

Einer der häufigsten Vorwürfe, mit denen sich Restauranttester konfrontiert sehen, ist ihre angebliche Indifferenz für das „Schicksal“ des kritisierten Etablissements (als läge es ausschließlich in unserer und nicht auch ein My in der Hand der Betreiber!). Da kann es schon geschehen, dass in der Redaktion ostentative Kündigungsschreiben landen, die ein allein durch schlechte Kritiken verursachter, wirtschaftlicher Ruin notwendig gemacht haben soll …

Dabei entspricht die Kritik an der angeblichen „Nach mir die Sintflut“-Haltung der Kritiker keinesfalls der Wahrheit. Wer oft essen geht, macht verhältnismäßig öfter schlechte Erfahrungen. Mir persönlich sind also Lokale, in denen ich mich wohl gefühlt habe, lieb und teuer. Ein Haus, das seine Sache gut macht, ohne sich in modischem Schnickschnack zu verlieren; ein Wirt, der zu verwöhnen weiß; ein Koch, dessen Respekt für Lebensmittel sich alchemistisch in gute Gerichte wandelt – sie sind Gold wert. Sie trösten über Fertigsoßen, ahnungslose Aushilfskräfte und Lifestyle-Kokolores hinweg; ihre Restaurants und Rezepturen werden zu Horten der Geborgenheit, in die auch Kritiker gerne heimkehren wie Matrosen von stürmischem Meer.

Damit zurück zu Rick’s Café Casablanca, in dem ich seither oft und gerne gleichbleibend schöne Stunden genoss. Und das zu sagen, fällt mir als Kritikerin überhaupt nicht schwer.

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Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf dem Journal ohne Ismus.
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